BIOLOGIE UND FORTPFLANZUNG

Was ist falsch daran, Babys zu haben? Mögt ihr keine Babys?

VHMET-Freiwillige mögen Babys genauso sehr (oder genauso wenig) wie jeder andere. "Babys haben" ist auch gar nicht so sehr das Problem – Erwachsene haben ist es, das Probleme bereitet. Der ökologische Einfluß von Wegwerfwindeln ist sicher beträchtlich, aber wir sind länger erwachsen, als wir Kinder sind.

Leute, die darüber nachdenken, ein Kind zu bekommen, vergessen oft, daß sie damit einen neuen Menschen (er-)zeugen, der sie in vergleichsweise wenigen Jahren als Erwachsener verlassen wird.

Kindheit und Jugend sind wundervolle Teile des Lebens, sei es nun das eines Menschen, eines Panda-Bären oder einer Raubkatze. Es ist traurig, sich vorzustellen, daß es keine mehr davon geben soll. Ein Baby-Kondor mag nicht so niedlich sein wie ein Menschenbaby, aber für eins von beiden müssen wir uns entscheiden, wenn das andere überleben soll.

Außerdem wird sich die Fürsorge für Menschenkinder verbessern, wenn es weniger von ihnen gibt, für die gesorgt werden muß. Wenn wir über die Welt nachdenken, die wir den zukünftigen Generationen hinterlassen, mutet Fortpflanzung heute an wie die Vermietung von Zimmern in einem brennenden Haus.

Durch die Entscheidung, nicht noch einen weiteren von uns zu zeugen, zeigen Freiwillige eine tiefe Liebe für das Leben.

Wenn wir bloß zwei Kinder haben, ersetzen wir dann nicht nur uns selbst?

Nach dem zweiten Kind aufhören – das mag 1968, als die Forderung nach Bevölkerungs-Nullwachstum vermehrt aufkam, eine radikale Forderung gewesen sein. Nur war sie auch damals kaum eine angemessene. Die sogenannte "selbstersetzende Fortpflanzung" (replacement level fertility) von 2,1 Kindern pro Paar würde das Bevölkerungswachstum erst weit im kommenden Jahrhundert anhalten.

Heute hört sich die Forderung kaum anders an: "Denken Sie darüber nach, keins oder nur eins zu kriegen – und hören Sie nach dem zweiten unbedingt auf."

Der Gedanke, daß zwei Nachkommen nur uns selber ersetzen, ist zweifelhaft. Wir sind keine Lachse, die sich vermehren und dann sterben. Die meisten von uns werden in ihrem Leben noch die eigenen Enkel sehen, und wahrscheinlich auch die Urenkel noch.

Demnach verdoppelt sich unser Einfluß auf das Ökosystem Erde, wenn wir uns "selbst ersetzen" – immer vorausgesetzt, daß unsere Nachkommen einen ebenso umweltfreundlichen Lebensstil führen wie wir, und daß sie sich nicht fortpflanzen.

Die Forderung, nach dem zweiten Kind aufzuhören, fordert in Wahrheit die Fortpflanzung "qualifizierter" Paare heraus. Auch wenn ein gewolltes Kind besser ist als ein ungewolltes, ein intelligentes (was immer wir darunter verstehen) besser als ein dummes und ein umsorgtes besser als ein vernachlässigtes, so hat doch jeder von uns in der überindustrialisierten Welt einen gigantischen negativen Einfluß auf die Natur, unabhängig von diesen Faktoren.

Wenn wir nach dem zweiten Kind aufhören, ist das in Bezug auf den Energieverbrauch so, als höre das durchschnittliche ostindische Paar nach dem sechzigsten auf – oder das äthiopische nach dem eintausendsten.

Zwei sind besser als vier, und eins ist doppelt so gut wie zwei – aber selbst ein einziges absichtlich gezeugtes Kind ist heute das moralische Äquivalent des Verkaufs einer Fahrkarte für ein sinkendes Schiff.

Unabhängig davon, wieviele Nachkommen wir bereits haben – wir müssen nicht nach dem ersten oder zweiten aufhören, sondern sofort.

Ist es nicht so, daß heutzutage die falschen Leute Kinder bekommen?

Wie oft haben Sie das schon gehört oder selbst gesagt? Wer immer das auch sagt: wir können sicher sein, daß er oder sie sich nicht selbst meint. Nein, es sind immer diese falschen Leute. Es sind "diese dummen Degenerierten, die sich nicht fortpflanzen sollten. Die, die zu arm sind, Kinder aufzuziehen, oder so abartig, daß sie ihre Kinder nicht mal mögen und vielleicht mißbrauchen werden." Nach dieser Logik folgt daraus, daß "schlechte Exemplare ihre Gene nicht verbreiten sollten." Kommt uns bekannt vor, nicht?

Diese Meinungen setzen implizit voraus, daß manche Leute die richtigen sind für die Aufgabe, ihre Gene weiterzugeben. Intelligente, finanziell solide, verantwortungsbewußte, soziale Leute mit überlegenen Genen sollten mehr von ihrer Art (er-)zeugen. Denn schließlich wird es irgendwer ja ohnehin tun, oder?

Vielleicht, aber selbst wenn Intelligenz gemessen und vererbt werden könnte, gibt es keinen Beweis dafür, daß die Auspuffgase intelligenter Leute weniger stinken als die von Idioten. Und da wohlhabende Leute auch ihren Nachkommen mehr materiellen Wohlstand geben können als die sozial benachteiligten, wird auch der ökologische Einfluß dieser Nachkommen vermutlich mehr Schaden anrichten, einfach weil sie mehr konsumieren können.

Manche sagen auch, daß das religiöse oder politische System, dem sie anhängen, mehr Mitglieder braucht, um die Welt zu verbessern; aber es gibt keine Garantie dafür, daß die Nachkommen den Traditionen ihrer Eltern folgen werden. Tatsächlich scheint in der modernen Gesellschaft das Gegenteil die Regel zu sein. Und nebenbei bemerkt: wenn die einzigen Menschen, die ein gegebenes Weltbild annehmen werden, die eigenen Nachkommen sind, kann mit diesem Weltbild auch nicht alles zum besten stehen.

Andere stellen fest, daß ihre Rasse oder ethnische Gruppe in der Minderheit ist oder bald sein wird, wenn sie mit der Vermehrung nicht mithalten. Den Familiennamen weiterzuführen war lange eine unwidersprochene Rechtfertigung für Fortpflanzung, und wenn ein Paar sagt, daß sie "ein eigenes" haben möchten, dann meinen sie "eins, das unsere Gene hat". Der Gedanke hinter dieser Abstammungsmentalität ist tief und fest: mehr von uns, weniger von denen. Auch wenn das Wort abgegriffen ist: für mich riecht das nach Rassismus. Und wenn ein Paar einen Nachkommen eines bestimmten Geschlechts haben will, auch nach Sexismus. Es gehört schon einiges an elitärem Denken dazu, heute Repliken unserer selbst zu erschaffen, während zehntausende von Kindern der "Anderen" jeden Tag sterben, weil niemand für sie sorgen kann.

Jedenfalls ist das einfache Vermehren der schieren Anzahl von Menschen einer bestimmten religiösen, politischen oder genetischen Gruppe nicht unbedingt dazu geeignet, auch ihren Status zu verbessern. "Vermehrungskriege" zwischen rivalisierenden Gruppen haben in einigen mehrheitsbestimmten Regierungen schon Machtwechsel bewirkt; aber die Mitglieder dieser Gruppen sind nicht deswegen besser dran, weil sie zu der größeren gehören. Vermehrung um der Macht willen ist ein Überbleibsel der alten Tradition, die wir heute "Genozid" nennen: Massenmord aufgrund genetischer Bedingungen. Die Motivation bleibt dieselbe.

Letzen Endes ist es für VHMET-Freiwillige die falsche Spezies, die Kinder kriegt. Unabhängig von unseren oberflächlichen Unterschieden sind wir alle homo sapiens. Und solange wir damit fortfahren, andere Arten in Massen auszurotten, kann eine Vermehrung unserer Art nicht verantwortet werden.

Ich bin besonders intelligent. Sollte ich meine Gene nicht weitergeben?

Naja: wenn es einen Minimal-Intelligenztest gäbe, der nötig wäre, um die "Lizenz zum Vermehren" zu bekommen – würden Sie ihn bestehen?

Versuchen wir's doch einfach mal. Bitte beantworten Sie folgende Frage:

Angesichts der 40.000 Kinder, die täglich an Unterernährung sterben, und angesichts der Anzahl von Tier- und Pflanzenarten, die infolge unserer maßlosen Vermehrung aussterben – denken Sie, daß es eine gute Idee wäre, noch jemanden wie Sie in die Welt zu setzen?

JA

NEIN

Was ist mit dem menschlichen Instinkt, sich zu vermehren?

Menschen haben, wie alle Lebewesen, Triebe, die zur Vermehrung führen. Aber unser biologischer Trieb ist es, Sex zu machen, und nicht, Kinder zu kriegen. Wenn wir einen "Instinkt, uns zu vermehren" haben, dann hat ein Eichhörnchen auch einen Instinkt, Bäume zu pflanzen: der Trieb sagt ihm, Nüsse zu vergraben, und Bäume sind die natürliche Folge.

Kulturbedingte Wünsche können so stark werden, daß wir sie mit biologischen Trieben verwechseln, aber es gibt keinen evolutionären Hinweis auf einen "Vermehrungsinstinkt". Warum hören wir sonst auf, Kinder zu kriegen, wenn wir soviele haben, wie wir wollten? Wenn der Instinkt wirklich auf Vermehrung abzielt, wie können wir ihm dann widerstehen? Es gibt zu viele von uns, die nie den Wunsch nach Kindern hatten; aber Mutationen treten nicht in einem so großen Anteil einer Population auf.

Blicken wir zu unseren evolutionären Wurzeln zurück und stellen uns homo erectus vor, wie er den Wunsch hat, einen neuen Menschen in die Welt zu setzen. Er muß jetzt nur noch verstehen, daß er dazu eine Frau braucht, mit ihr Geschlechtsverkehr haben muß und daß sie dann neun Monate warten müssen...

Angesichts der Häufigkeit, mit der wir als Spezies den Wunsch nach Sex haben, erscheint es wahrscheinlich, daß menschliche Sexualität neben dem Kinderkriegen auch nicht zuletzt der Paarbindung dient. Menschliche Kleinkinder sind so verletzlich (und für so lange Zeit), daß ihr Überleben von einer starken Paarbindung der Eltern abhängt – und erst recht in prähistorischer Zeit abhing.

Aber weil Menschen, die vorhaben, sich zu vermehren, unterbewußt spüren, daß das ein Fehler ist, können sie ihre wahren Gründe nicht aussprechen. Wir müssen deshalb ihre Erklärungen übersetzen:

Obwohl die meisten Empfängnisse unbeabsichtigt sind, ist Konformität wohl der Hauptgrund für gewollte Schwangerschaften. Viele scheinen zu zögern, die Tradition in Frage zu stellen oder anders zu sein als das, was in unserer Gesellschaft als normal gilt.

Überraschenderweise haben viele, die sich weiterhin fortpflanzen, nie darüber nachgedacht, sich anders zu verhalten. Die prontalistische Propaganda ist allgegenwärtig, und sie funktioniert gut.

Ich wollte immer ein eigenes Baby haben. Was sonst ist der Sinn des Lebens?

Vielen von uns reicht "Laß es einfach" nicht als Antwort. Die meisten Menschen, die nicht schon Eltern sind, brauchen Alternativen, um den Bedürfnissen gerecht zu werden, die das Kinderkriegen stillt.

Sowohl Männer als auch Frauen können das Bedürfnis haben, einem hilflosen Wesen Schutz zu geben. Statt einen neuen Menschen zu produzieren, um ihn dann zu beschützen, gibt es aber geug andere "Kinder" der Erde, die unseren Schutz brauchen. Möglichkeiten in dieser Richtung sind der Schutz wildlebender Tiere und ihrer Lebensräume, aber auch einfach Gärtnerei.

Wem die Natur als Ersatz für Menschen nicht reicht: es gibt genug Kinder, die Eltern brauchen. Adoption, Pflegeelternschaften, das "Ausleihen" der Kinder von Verwandten oder ein "Großer-Bruder/Große-Schwester-Programm" (gibt's sowas hier auch?) könnten dem Bedürfnis zu helfen gerecht werden. Auch eine Berufswahl wie Kinderpfleger oder Lehrer gibt reichlich Gelegenheit zum Sich-Kümmern.

Aber nicht nur junge Menschen brauchen Hilfe. Jeder Mensch braucht, wie andere domestizierte Tiere, irgendwann in seinem Leben die Hilfe anderer. Den Alten, Behinderten, Kranken oder sonstwie Benachteiligten zu helfen, kann unsere altruistischen Bedürfnisse ebenfalls stillen.

Haustiere haben viel weniger Einfluß auf die Umwelt als Menschen, und viele kinderfreie Menschen finden es emotional befriedigend, einen Hund oder eine Katze zu adoptieren.

Der erste Schritt auf dem Weg zu einer Alternative zur eigenen Fortpflanzung ist es aber, die pronatalistische Einstellung der Vergangnheit zu überdenken. Von der Kindheit an wird uns gesagt, daß wir mal selber Kinder haben werden. Wir werden gefragt, "wieviele und wann?" Erst wenn wir antworten: "Niemals", bekommen die Alternativen eine Bedeutung.

Sollen wir keinen Sex mehr haben?

Sex ist die Ursache für die meisten Schwangerschaften, aber ist Geschlechtsverkehr wirklich der Hauptgrund für menschliche Vermehrung? So unsinnig diese Frage auch scheinen mag, hier ein paar Statistiken:

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, daß jeden Tag durchschnittlich etwa 100 Millionen Paare miteinander schlafen. Das sind nur etwa 3,3 % der sechs Milliarden Menschen auf der Welt. Diese bedauerlich geringe Menge an Liebe-Machen führt dank Empfängnisverhütung und Sterilität zu nur etwa 910.000 Schwangerschaften, von denen aus verschiedenen Gründen es etwa 55 % nicht bis zur Geburt schaffen. Gemäß einer Schätzung des U.S. Census Bureau schaffen es täglich etwa 365.000.

Somit führen weniger als 0,4 % aller heterosexuellen Liebesakte zur Erschaffung eines neuen Menschen – was statistisch nicht ausreicht, um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Sex und Vermehrung zu beweisen.

Zweifel? Na, versuchen Sie's doch mal selber. Schätzen Sie, wie oft Sie in Ihrem Leben Geschlechtsverkehr hatten. Und jetzt schätzen Sie, wie oft Sie dabei versucht haben, ein Kind zu machen. Jetzt teilen Sie die kleine Zahl durch die große, um herauszufinden, bei wieviel Prozent der Male Sie durch den Wunsch nach Fortpflanzung motiviert waren.

Wenn es mehr Wege für sexuelle Erfüllung gäbe, versuchten vielleicht weniger Menschen, eine störende Leere mit einem abhängigen Wesen zu füllen.

Ist VHEMT für Abtreibung?

Nur bei Schwangerschaft.

Nein, im Ernst: Schwangerschaft sollte vermieden werden wo immer möglich. Ungewollte Schwangerschaft ist der Grund fast aller Abtreibungen, und VHEMT ist sicher nicht für ungewollte Schwangerschaft.

Die Bewegung ist noch nicht mal für gewollte Schwangerschaft. Leider passieren aber immer noch versehentliche Zeugungen, also ist eine Möglichkeit, diese Schäden zu reparieren, nach wie vor wichtig.

Aber ohne Empfängnis gäbe es keine Abtreibung.

Die Frage nach dem Recht der Frau auf eine sichere und legale Abtreibung ist in gewisser Weise jenseits des Rahmens von VHEMT. Aber das erste Wort in unserem Namen ist "freiwillig", und das Austragen eines ungewollten Kindes ist das ganz sicher nicht. Trotzdem gibt es in der Bewegung ein weites Feld von Meinungen zu diesem Thema.

Empfängsnisverhütungsdruckskala

Umfragen an Informationsständen in Nordamerika haben ergeben, daß der durchschnittliche gewünschte Wert auf dieser Skala bei etwa 3,5 liegt. Der tatsächliche Druck liegt aber weltweit bei unter 1: keine Wahl, aber am anderen Ende der Skala. Statt zur Empfängnisverhütung gezwungen zu werden, werden viele Paare gezwungen, darauf zu verzichten: sozusagen negativer Empfängnisverhütungsdruck.

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